Pädagogik Abseits der Geschlechterbinarität. Trans & Transidentität. "Abweichende" Geschlechtsidentität und zeitgemäße Sexualerziehung im Biologieunterricht

Art
E-Book
Autoren
ISBN 10
3346058662 
ISBN 13
9783346058669 
Kategorie
 
Erscheinungsjahr
2017 
Verlag
URL
[ privat ] 
Band
Katalognummer V505056 
Seiten
57 
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Zusammenfassung
Die in dieser Arbeit angerissene Thematik ist eine sehr umfassende und mehrdi-
mensionale, sodass eine kurze und dennoch möglichst vollständige Zusammen-
fassung der Kernaussagen sich schwierig gestaltet. An erster Stelle sollte jedoch festgehalten werden, dass es sich bei Trans* und Transidentität um Normvarianten
– und nicht etwa um „gestörte“ Abweichung - der möglichen Ausgestaltung von
menschlicher Identität handelt.
Identität allgemein entwickelt sich dabei in Abhängigkeit von und in der
Auseinandersetzung mit der sozialen Umwelt und der in dieser existierenden Normvorstellungen und Werten. Dabei beinhaltet die Identitätssynthese nach neu-
eren Verständnissen eine permanente konflikthafte Auseinandersetzung mit zu-
meist widersprüchlichen inneren und äußeren Anforderungen, welche dem fortdauernden Ziel verschrieben ist, aus diesen eine individuell synthetisierte kom-
promisshafte Balance immer wieder neu herzustellen und aufrechtzuerhalten (2.1.). Aufgrund der, besonders in den westlichen Gesellschaftskreisen, existie-
renden Präsenz und Einflussnahme von dichotom verstandener Geschlechtlichkeit für die Identitätsbildung von Individuen wurde sich mit der Entität Geschlecht
befasst.
Dabei wurde in dieser Arbeit herausgestellt, dass dieses multidimensionale
Konstrukt durch viele korrelierende und sich gegenseitig beeinflussende Faktoren bestimmt wird. Aus biologischer Perspektive werden sogenannte geschlechterspe-
zifische Unterschiede dabei über komplexe biochemische und genetische Abläufe auf mehreren Ebenen bestimmt. Hierbei ist es besonders auffällig, dass die „Gren-
zen“ zwischen den beiden gemeinhin als „normal“ verstandenen Geschlechteraus-
prägungen nicht so scharf ausgeprägt sind, wie es häufig in Alltagsvorstellungen angenommen wird. Stattdessen erscheint es fachwissenschaftlich gesehen ange-
messener, die biologisch betrachtete Geschlechtlichkeit von Menschen eher als ein Spektrum als ein klares „Entweder-Oder“-Prinzip zu verstehen, wobei letzte-
res alleine schon durch das Auftreten von Intersexualität falsifiziert wird (2.2.1.).

Geschlecht und Geschlechtlichkeit werden aber über weit mehr als „nur“ biolo-
gisch oder naturwissenschaftlich messbare Einflussfaktoren definiert und ausge-
staltet. Von nicht zu vernachlässigender Relevanz sind dabei rollentheoretische, psychologische sowie sozial-kognitive Elemente, welche formend für sozial kon-
struierte und akzeptierte Geschlechterrollen und damit verbundene Erwartungs-
haltungen und Vorstellungen sind. Weiterhin ist auch die Ausgestaltung der eige-
nen Geschlechtsidentität eine unabdingbare Komponente von Geschlecht. Ge-
schlechtsidentität, als Teil der gesamten Identität, ist wie diese auch als prozess-
haft zu verstehen und kann somit vorgegebene normierten Vorschriften hinterfra-
gen, ausdehnen oder vollkommen überwinden (2.2.2.).

Transidente Menschen sind hierfür mustergültig. Sie demonstrieren ein
„breites Spektrum von Identitäten, Lebensweisen und Konzepten, die über die
Zweigeschlechternorm hinausgehen, auch solche, die sich nicht geschlechtlich verorten (lassen) möchten.“ (TUIDER 2015, S.57) (2.3.). Generell lässt sich in Be-
zug auf das (Selbst-)Verständnis von Geschlecht und Geschlechtsidentität festhal-
ten, dass dieses durch mannigfaltige Verknüpfungen und Ko-Dependenzen sozia-
ler und (sozial interpretierter) naturwissenschaftlicher Einflussfaktoren geprägt wird (2.2.3) und aktuell zuteil Diskriminierung und Ausgrenzung von
Trans*Menschen begünstigt. Trans*Menschen, die mit ihrer Interpretation und Auslebung von (Geschlechts-)Identität über die häufig naturalisierte und nor-
mierte Zweigeschlechtergesellschaft hinausgehen, erfahren in der heutigen Ge-
sellschaft starke Benachteiligung, Diskriminierung, Fremdbestimmung und Stig-
matisierung durch Psychopathologisierung (2.3.1.&2.3.2.).

Diesen Diskriminierungszuständen entgegenzuwirken und damit die Men-
schenrechte aller Menschen (Cis* & Trans*) auf Selbstbestimmung und Schutz der eigenen Person und Identität zu wahren, könnte durch eine kompetente (gen-
der)-wissenschaftlich fundierte Einbeziehung der Thematik in den Schulalltag und -Unterricht begünstigt werden. Schule stellt eine einflussreiche Sozialisati-
onsinstanz im Leben von Heranwachsenden dar, in welcher in lebensgeschichtlich sensiblen Phasen, wie Pubertät und Jugendalter u.a. Einflüsse auf die Persönlich-
keitsentwicklung, die Identitätsbildung und damit verbunden auch auf das ge-
schlechtliche und sexuelle Selbstverständnis der Schüler*innen wirken. Aktuell werden in schulischen Kontexten – sowohl inner- als auch außerunterrichtlich – zumeist relativ unreflektiert die Strukturen der exklusiv gedachten und naturali-
sierten Geschlechterbinarität reproduziert und dadurch Trans*Schüler*innen in einigen Bereichen ausgeblendet, benachteiligt und/oder diskriminiert. Da Schule in Deutschland jedoch im Sinne des demokratischen staatlichen Bildungsauftra-
ges operieren soll, welcher die Menschenrechte und pluralistischen Lebensent-
scheidungen aller Schüler*innen als zu schützend, zu achtend und zu akzeptierend definiert, eröffnet sich eine Notwendigkeit der umfassenderen und fachkompeten-
ten Integration von Trans* in das schulische Umfeld. „Nicht nur Sozialisations-
instanz, vielmehr auch Bildungsort zu sein, fordert Schule [insofern] heraus, Re-
flexionsprozesse über weitgehend unreflektiert transportierte Normen zu initiieren – gerade auch die, die sie selbst wie selbstverständlich mitträgt“ (HARTMANN 2012, S. 41). Hierfür ist im Besonderen die Sexualerziehung geeignet, durch wel-
che erste Anerkennung und Aufklärung schaffende sowie reflexionsanregende Thematisierungen der grundlegenden Inhalte des Themenfeldes ermöglicht wer-
den könnten (3.1.).

Der staatliche Bildungsauftrag der Schulen schließt ausdrücklich
die Sexualerziehung der Schüler*innen mit ein. In den aktuellen allgemeinen
Richtlinien des Bundeslandes NRW findet man hierzu folgende Formulierung: „Der gesetzliche Erziehungsauftrag der Schule schließt die Sexualerziehung als
einen wichtigen und unverzichtbaren Teil der Gesamterziehung mit ein. Ihre
Grundlagen bilden das Grundgesetz vor allem im Hinblick auf die Achtung vor
der Würde des Menschen, die freie Entfaltung der Persönlichkeit, Toleranz und Achtung vor den Überzeugungen und Lebensweisen der anderen und den beson-
deren Schutz von Ehe und Familie, die Verfassung des Landes Nordrhein-West-
falen, das Schulordnungsgesetz und die Richtlinien und Lehrpläne der einzelnen Schulformen.“ (MINISTERIUM FÜR SCHULE, WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG DES
LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN 2011, S. 7). Folglich ergibt sich im Sinne einer
diskriminierungsfreien, menschenrechteachtenden Schulbildung, im tatsächlichen
Einklang mit den offiziellen Bildungsaufträgen, dass die Thematik Trans* neben
dringend zu fordernder Akzeptanz im generellen Schulalltag auch Integration in
die Lehrpläne erfahren sollte (3.2.).
Biologieunterricht steht im allgemeinen Bildungsauftrag im Dienste der
Vermittlung von sogenannter Scientific Literacy. Der Beitrag das Faches Biologie
zu dieser wird dabei vorrangig in der Beschäftigung und Auseinandersetzung mit
dem Lebendigen gesehen. Dazu zählt auch der Mensch, welcher somit auch selbst
zum Gegenstand des Biologieunterrichts wird. Durch die ermöglichte Behandlung des Organismus Mensch soll u.a. die konstruktive Entwicklung eines individuel-
len Selbstbildes der Lernenden angeregt und gefördert werden. Trans* und/bzw. Transidentität – als Formen der Menschlichkeit - sollten in diesem Kontext aus
vielfältigen Gründen in den Biologieunterricht inkludiert werden. Einerseits, weil der Themenkomplex, welcher einen Teil der existenten Lebenswirklichkeit adres-
siert, allgemeinbildenden Charakter aufweist. Des Weiteren könnten durch eine fachkompetente Auseinandersetzung mit diesen Bildungsinhalten, transphober Diskriminierung und Übergriffen entgegengewirkt werden und mit negativen Kli-
scheebildern, schädlichen Vorurteilen, Mangel an Sensibilität und Information in Bezug auf die Thematik aufgeräumt werden. Hinzu kommt noch, dass die anzu-
regende, konstruktive Auseinandersetzung mit dem komplexen Thema Trans* die Möglichkeit eröffnet, bestehende gesellschaftliche Normierungen, Konstruktio-
nen und akzeptierte Selbstverständlichkeiten bezüglich Geschlechtlichkeit aufzu-
zeigen, diese zu hinterfragen und zu dekonstruieren. Damit könnte dann eventuell eine Gesellschaftsstruktur begünstigt werden, in welcher Stereotype, Restriktionen und Diskriminierung aufgrund der Kategorie Geschlecht nicht mehr existie-
ren. Darüber hinaus kann eine Dekonstruktion der Geschlechter-Dichotomie an-
geregt werden, wodurch völlig neue Freiräume zur kreativen und individuellen Lebensgestaltung für die Schüler_innen geschaffen werden können, welche sich „dem gesellschaftlichen Diktat der Zweigeschlechtlichkeit nicht mehr unterwer-
fen“ (RAUCHFLEISCH 2016, S. 200) und die restriktiven „Schablonen einer tradi-
tionellen Weiblichkeit oder Männlichkeit“ (EBDA. S. 203) sowie die Heteronor-
mative-Matrix (vgl. BUTLER 2011) sprengen. Entsprechend lässt sich festhalten, dass die Integration und fachkompetente Behandlung des Themenfeldes Trans* in den Biologieunterricht im Sinne der Gleichstellungspädagogik und Anti-Diskri-
minierungsarbeit der schulischen Sozialkultur helfen würde, den Ansprüchen des staatlichen Bildungsauftrages gerecht zu werden und Diskriminierung, Ausgren-
zung und Restriktionen aufgrund der biologischen Kategorie Geschlecht nivellie-
ren könnte, wodurch dann die Mitglieder der Gesellschaft die Möglichkeit auf eine freie, selbstbestimmtere und kreative Identitätssynthese erhalten würden (3.3.).

„... und eines Tages werden nicht mehr Expert_innen ÜBER uns reden,
sondern wir uns selbst erklären – und eines noch ferneren Tages werden wir nicht mehr erklärungsbedürftig sein, sondern genauso selbstverständ-
lich wie Cis und Hetis ...“
- Myshelle Baeriswyl
(nach RAUCHFLEISCH 2016, S. 12) 
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